Triggerwarnung
In diesem Artikel geht es um Suizid. Bei manchen Menschen kann dieses Thema negative Reaktionen auslösen. Bitte bleiben Sie achtsam, wenn das bei Ihnen der Fall sein könnte. Lesen Sie den Artikel z.B. gar nicht oder lieber nicht alleine. Hier kommen Sie auf Wunsch zurück zur Artikelübersicht. Hier finden Sie Infos zur Telefonseelsorge.
Das kann nicht wahr sein! Warum konnten wir dich nicht halten?
Jährlich suizidieren sich über 16.000 Menschen in Deutschland. Selbsttötung, auch Suizid, wird immer als unfassbar, schockierend, beunruhigend und tragisch gesehen. Dabei sind Gefühle der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins vorherrschend. Noch immer ist Suizid mit einem Stigma und Tabu behaftet.
Suizid ist Aufsehen erregend, wird wegen der Nachahmungsgefahr nie in Presseveröffentlichungen erwähnt, und viel diskutiert. Bei jeder Selbsttötung und jedem Selbsttötungsversuch gibt es zwei Gruppen: die der Lebensmüden und die der Hinterbliebenen.
Suizid ist gesellschaftlich tabuisiert und daher ist der Verlust eines geliebten Menschen für die Angehörigen, Freunde und Hinterbliebenen besonders schwer zu bewältigen. Viele Trauernde fühlen sich unverstanden. Der Gedanke “Warum konnten wir dich nicht halten?” ist für sie kaum zu ertragen. Auch die Tatsache, dass ihre Liebe nicht stark genug war, den Suizidenten von der Tat abzuhalten, belastet. Versagens- und Schuldgefühle sind neben der Trauer bei Angehörigen vorherrschend.
Ein traumatisches Ereignis
für das gesamte Umfeld
Ein Suizid ist unvorstellbar - bis er geschieht. Die Selbsttötung ist für das Umfeld ein traumatisches Ereignis, ein Schock, eine nicht einzuordnende Erfahrung und mit die schwerste zu bewältigende Trauer.
Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, dass Menschen, die den Tod eines geliebten Menschen betrauern, ein Stress-Ausmaß durchlaufen, wie es sonst nur Kriegsopfer und Überlebende eines Konzentrationslagers erleben. In Anbetracht dieser Belastung sollten Unterstützungs- und Hilfsangebote offeriert werden. Meist finden die Betroffenen nur im privaten Freundes- und Familienkreis Unterstützung.
In der Öffentlichkeit und in den Medien findet das Thema Suizid erst in heutiger Zeit Raum.
Zu den Schuldvorwürfen kommt zusätzlich der belastende juristische Aspekt. Selbsttötung ist kein Verbrechen. In Hamburg wird bei jedem Suizid die Polizei verständigt, die Ermittlungen aufnimmt und ausschließen muss, dass ein Fremdtötungsdelikt vorliegt. Punkte wie die Spurensicherung, Inaugenscheinnahme des Leichnams und Sicherstellung der Beweismittel, Befragung der Zeugen / Hinterbliebenen, Nachbarn, etc. sowie die Überführung der beschlagnahmten Leiche in die Gerichtsmedizin sind für Hinterbliebene schwer zu ertragende Maßnahmen, die in der Akutsituation von größter Not in Anbetracht der persönlichen Tragödie kein oder wenig Verständnis hervorrufen.
Empathie und Qualifikation der Kripobeamten sind wünschenswert, Einfühlungsvermögen und behutsames Vorgehen jedoch nicht immer selbstverständlich.
Bei ungeklärter Todesursache wird der Leichnam gerichtsmedizinisch untersucht. Erst nach Abschluss der Ermittlungen wird der beschlagnahmte Leichnam durch die Staatsanwaltschaft freigegeben und es kann eine Bestattung erfolgen.
Das Prozedere kann mehrere Tage in Anspruch nehmen, was ein Annehmen und ein Abschiednehmen zunächst unmöglich macht. Die Befragungen durch die Kriminalpolizei werden durch viele Angehörige als belastend und als Anklage empfunden, plötzlich stehen Täter-Opfer-Verdacht Rollen im Raum.
Nachweislich wählen Männer eher harte Suizidmethoden (z.B. erhängen, erschießen), die statistisch betrachtet eher als die weiblichen oftmals, weichen Selbsttötungsmethoden (z.B. Tablettenüberdosis) zum Exitus führen.
Suizid ist tabuisiert
Suizid ist in allen Kulturen tabuisiert. Die Gründe sind different, haben sich über Jahre entsprechend der Kultur, Religion und Politik verändert. Reden hilft - es hilft den betroffenen Personen, um das Unfassbare zu begreifen, anzunehmen und zu akzeptieren. Die Tabu- und Stigmatisierung macht es den Hinterbliebenen extrem schwer, sich zu öffnen und in der außerhäusigen Situation, Akzeptanz und Commitment zu finden. Oft sind Schuldvorwürfe und Scham existent.
Die kirchliche Moral, auch für Menschen, die nicht gläubig sind, wirkt beeinflussend: Himmel und Hölle, Buße und Vergeltung, sind über die Kirche hinaus moralische Werte und Normen, die wirken. Sie wirken auf betroffene Personen ein, die neben der Angst und Schuldgefühle Fragen nach dem Sinn und dem “was geschieht nach dem Tod” bewegen.
Haben Sie sich schon einmal mit dem Thema Tod auseinandergesetzt? Wissen Sie, wann und auf welche Art Sie sterben werden? Haben Sie schon mal Suizidgedanken gehabt? Zögern Sie nicht, sich Hilfe zu holen und sich einer Person anzuvertrauen.
Falls Sie angesprochen werden, bedenken Sie, dass Sie das nicht alleine halten müssen. Als Leitsatz möchte ich Ihnen mitgeben, “Wie kann ich diesen Menschen dabei unterstützen, sich als selbstständig, aktiv und wirksam zu erleben” (Chris Paul).
Die Frage nach dem Warum?
Schuld, Macht und Sinn beschäftigen bei Suizid alle Beteiligten. Beweggründe, verzweifelte Spekulationen nach dem Warum sowie Fragen nach der Mitverantwortung entstehen. Suizid ist ein Abbruch der Beziehung, wie er nicht schrecklicher sein kann. Es gibt keine Chance der Verabschiedung. Probleme bleiben ungeklärt, und nur in einem von zehn Fällen gibt es einen Abschiedsbrief, der vielleicht etwas erklären könnte. Eine meist ausweglose Situation lässt die suizidale Person handeln, vermutlich ist das Verhältnis zu den Verwandten und Freunden belastet.
Konflikte und Disharmonie können nach dem Suizid eine übermächtige Bedeutung erlangen und lösen bei den Hinterbliebenen Schuldgefühle aus. Manchmal kreisen die Gedanken endlos. “Warum bin ich fortgegangen?”,v “Weshalb habe ich die Gefahr nicht erkannt?” Das Gefühl, versagt zu haben, wird übermächtig. Es spielt rückblickend keine Rolle, was sie getan oder nicht getan haben, auch wenn es Ihnen alles falsch erscheint.
Selbst wenn Sie einen Suizidgefährdeten pausenlos betreuen, wird es ein paar Minuten geben, in denen ein Mensch, der entschlossen ist, sein Leben zu beenden, immer eine Möglichkeit findet, die geplante Tat durchzuführen.
Diese Machtlosigkeit anzuerkennen, ist ernüchternd. Ob mit Vorankündigungen oder überraschend, ein Suizid löst bei den Angehörigen starke Schuldgefühle aus. Schuldzuweisungen sind ein Versuch, die Selbsttötung zu erklären. Jeder Suizid hinterlässt eine Leere. Angehörige versuchen diese Leere oft mit Gefühlen, Fantasien und Erklärungen zu füllen.
Männer und Frauen trauern unterschiedlich. Die Trauerforschung hat ergeben, dass Frauen eher ihre Gefühle leben und sich Unterstützung holen, während Männer dazu neigen, ihre Trauer aktiv zu bewältigen und etwa durch vermehrtes Arbeiten die seelische Anspannung abbauen.
Ich unterstütze Sie gerne und gebe Ihnen bei diesem komplexen Thema Hilfestellung!
Wenn Ihre Gedanken kreisen und Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein, müssen es aber nicht.
Es gibt eine Vielzahl von kostenlosen Hilfsangeboten, bei denen Sie - auch anonym - mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.
TELEFONSEELSORGE
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Der Anruf taucht nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.
Die Telefonnummern sind:
0 800 111 0 111
oder
0 800 111 0 222
Muslimisches Seelsorgetelefon
Das muslimische Seelsorgetelefon ist rund um die Uhr unter folgender Telefonnummer erreichbar:
030 44 35 09 821