fbpx

Wie fühlt sich Dissoziation an?

Sobald der Mensch eine traumatische Situation erlebt, wird der Körper mit einer Flut an Gefühlen wie Hilflosigkeit, Entsetzen und Panik überschüttet. Sind weder eine Flucht noch eine Konfrontation wie etwa ein Kampf möglich, schaltet der Körper auf eine reine Überlebensstrategie um. Der Mensch verfällt in eine Art Starre, vergleichbar mit dem Totstellreflex bei Tieren. In diesem Moment tritt eine Dissoziation auf.

Was bedeutet eine Dissoziation?

Jegliche Empfindungen, Gefühle und Gedanken, die mit der traumatischen Situation in Verbindung gebracht werden können, werden abgespalten. Ein häufiges Beispiel ist die Tatsache, dass Verletzte nach einem schweren Verkehrsunfall unter Schock stehen und im ersten Moment keine Schmerzen verspüren, sondern strukturiert Hilfe organisieren.

Eine Dissoziation ist also eine Form der Bewältigungsstrategie. Betroffene fühlen sich zersplittert und nicht vollständig anwesend. Die gedankliche Flucht kann von Gedächtnislücken über das automatische Funktionieren im Alltag bis zu dem Verschwinden von Emotionen reichen und wird von den Betroffenen individuell und unterschiedlich erlebt.

Viele Menschen erleben ständig eine Dissoziation im Alltag, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn das Gefühl wiederholt auftritt, wird es für normal angesehen. Vor allem Personen, die diese Art innere Flucht seit der Kindheit praktizieren, erkennen das Problem nicht als solches.

Dissoziation bei Kindern

Bei kleinen Kindern, die einer starken Vernachlässigung ausgesetzt sind oder sogar Opfer oder Zeuge von Gewalt sind, nutzen die Dissoziation als dauerhafte Bewältigungsstrategie. Sie sind trotz der negativen Erlebnisse auf ihre Bezugspersonen angewiesen. Erleben die Kinder eine immer wiederkehrende Gewalt, kann es zur Abspaltung von Persönlichkeitszuständen kommen. Dadurch, dass die Persönlichkeit gespalten wird, haben die Kinder eine Chance zu überleben.

Harmlose Formen der Dissoziation

Nicht jede Form der Dissoziation ist gefährlich. Viele harmlose Varianten werden überhaupt nicht als Dissoziation wahrgenommen. Beispielsweise die lange Autofahrt auf einer bekannten Strecke, die wie in Trance absolviert wird. Am Zielort angekommen, ist es fast unmöglich, sich an Details während der Fahrt zu erinnern.

Mögliche Symptome

Die Symptome für eine Dissoziation können sehr unterschiedlich ausfallen:

  • Dissoziative Krampfanfälle: Krampfanfälle als Form möglicher Krankheitsbilder ohne organische Ursache
  • Wahrnehmungen von Stimmen: Das Gefühl, stimmen im Kopf zu hören
  • Auftreten von Zeitlücken: Amnesie in bestimmten Situationen wie etwa: Wie bin ich hierhergekommen? Wer ist das, mit dem ich gerade spreche?

    Auch eine Amnesie die Kindheit betreffend ist möglich

  • Flashbacks: Plötzlich aufflackerne Erinnerungen an schlimme Momente
  • Depersonalisation: Der Körper fühlt sich fremdartig an

Wie fühlen sich Betroffene?

Betroffene erleben eine Dissoziation auf sehr unterschiedliche Arten. Jeder nimmt eine Dissoziation verschieden wahr. Einige beschreiben, dass sie sich nicht mehr wie sich selbst fühlen oder automatisch auf Reaktionen zurückgreift, ohne diese bewusst zu steuern. Viele bemerken diese Veränderung bei sich selbst und spüren, dass sie auf bestimmte Muster reagieren.

Mögliche Beispiele für das Anfühlen einer Dissoziation:

  • Betroffene spüren eine Bedrohung, obwohl sie sich an einem absolut sicheren Ort befinden. Trotz dem Wissen, dass nichts passieren kann, ist es nicht möglich, die Angst zu regulieren.
  • Es besteht das Gefühl, dass jeden Augenblick etwas Schlimmes passieren wird. Durch ein ständiges Umschauen wird versucht, die Gefahrenquelle zu lokalisieren. Der Betroffene erkennt, dass das Verhalten überzogen ist, kann aber dennoch nichts daran ändern.
  • Das Gefühl von Einsamkeit ist plötzlich überwältigend, obwohl ein Anruf genügen würde, um mit jemanden Kontakt zu haben. In manchen Fällen ist sogar ein Partner in der gleichen Wohnung und dennoch kann das Gefühl der Einsamkeit nicht besiegt werden.

  • Erinnerungen oder gar die eigene Identität werden bruchstückhaft erlebt, vergleichbar mit Scherben, die nicht oder nur schwer zusammen zu setzen sind.

Dissoziative Zustände: Teil der gesunden Psyche

Während einer Dissoziation wird die eigene Wahrnehmung nicht mehr mit dem eigenen Bewusstsein und der Umwelt verbunden und ist somit aus dem Einklang gebracht worden. Auch wenn das im ersten Moment nach einem schweren psychischen Problem klingt, muss das Dissoziieren nicht immer negativ behaftet sein. Auch eine gesunde Psyche dissoziiert in regelmäßigen Abständen. Dabei ist eher ein Abdriften in eine eigene Gedankenwelt gemeint, welcher in vielen Fällen als angenehm empfunden wird..  

Die Aufmerksamkeit ist also nicht zu hundert Prozent bei der Tätigkeit, die gerade ausgeführt wird. Kopf und Körper sind gefühlt nicht gemeinsam am gleichen Ort. Das Gefühl, „wie weggetreten sein“, ist typisch für ein dissoziatives Verhalten im Alltag.

Angenehme dissoziative Zustände im Alltag

Angenehme dissoziative Zustände im täglichen Leben sind beispielsweise der typische Tagtraum, aber auch das konzentrierte Lesen und eintauchen in ein gutes Buch oder ein vertieftes Gespräch, bei welchem die Umwelt ausgeblendet wird. Ein weiteres typisches Beispiel ist das nicht erinnern können daran, ob der Herd ausgeschaltet worden ist oder nicht

Unangenehme dissoziative Zustände im Alltag

Dissoziative Zustände im Alltag müssen nicht immer positiv behaftet sein. Auch unangenehme Zustände sin möglich. Zum Beispiel, wenn man sich nach einem langen Arbeitstag einfach nur leer fühlt oder nach einer anstrengenden und langen Konzentration die Anspannung wegfällt und sich eine Leere ausbreitet.

Trotz dem negativen, eher unangenehmen Gefühl handelt es sich nicht um schwerwiegende dissoziative Phasen, sondern eher um leichte Symptome.

Verschiedene Formen von dissoziativen Störungen und ihre Symptome

Laut ICD-10 (Das Internationale Klassifikationssystem für u.a. psychische Erkrankungen)  sind unterschiedliche Formen von dissoziativen Störungen möglich. Teilweise sind auch körperliche Anzeichen wie Taubheitsgefühle oder Schwindel möglich.

Erinnerungsverlust: Der Erinnerungsverlust tritt häufig im Zusammenhang mit einschneidenden Ereignissen und einer Traumatisierung auf. Dabei müssen die Erinnerungslücken nicht die ganze Situation betreffen und können in ihrer Ausprägung und Heftigkeit wechseln.

Dissoziative Flucht: Eine dissoziative Fugue oder Flucht zeichnet sich durch das plötzliche und ziellose Weglaufen einer Person aus. Was auf den ersten Blick nicht besonders seltsam klingt, ist bei genauerer Betrachtung durchaus ernst zu nehmen. Das Weglaufen geschieht in diesem Fall nicht nur ohne Ziel sondern willenlos. Im Extremfall reisen Betroffene Tausende von Kilometern in fremde Länder, ohne den eigenen Willen oder Entschluss dafür aufgebracht zu haben.

Während dieser Flucht tritt bei den betroffenen Personen eine dissoziative Amnesie ein. Sie erinnern sich nicht daran, weggelaufen zu sein. Auf Außenstehende wirkt eine dissoziative Fugue nicht auffällig. Je nach Stärke kann eine dissoziative Fugue bereits nach einigen Stunden wieder abklingen, aber auch Fälle, in denen das Störungsbild über Monate aufgetreten ist, sind bekannt. In extremen Fällen wird sogar eine neue Identität angenommen.

Dissoziativer Stupor: Fans von Harry Potter werden den Begriff kennen. Stupor stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Erstarren". Bei dieser Form sind die Körperbewegungen eingeschränkt, auch eine komplette Bewegungsstarre kann auftreten. Zusätzlich sprechen die Betroffenen in der Regel nicht und reagieren nicht auf äußere Einflüsse wie Geräusche, Licht oder Berührungen.

Besonders häufig treten Bewegungsstörungen wie Lähmungen oder ein unsicherer Gang auf. Auch ein freihändiges Stehen oder das Stehen auf nur einem Bein sind nur erschwert bis gar nicht möglich und ein Hinweis auf eine dissoziative Störung.

Empfindungsstörungen: Eine weitere Symptomatik sind Empfindungsstörungen wie der Verlust des Riech- und Geschmackssinns, Taubheit bis hin zur Erblindung möglich. Auch dissoziative Krampfanfälle, welche im ersten Moment wie ein epileptischer Anfall wirken, ist eine mögliche Reaktion des Körpers.

Multiple Persönlichkeitsstörung

Die dissoziative oder multiple Persönlichkeitsstörung gilt als umstrittenes Krankheitsbild bei Menschen mit einer dissoziativen Störung. Betroffene erleben und handeln als unterschiedliche Personen, wobei diese jeweils eigene und unterschiedliche Erinnerungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen haben. Dabei treten die beiden Persönlichkeiten nie gleichzeitig auf, sondern übernehmen abwechselnd das Handeln.

Die Erkrankten bekommen den Wechsel der beiden Persönlichkeiten oft nicht bewusst mit, sondern haben im Alltag vermehrt mit Erinnerungslücken zu kämpfen, da der Zugang zu den Erinnerungen und der Existenz der Teilpersönlichkeit fehlt.

Bei Forschern und Forscherinnen ist die Existenz dieser Störung umstritten, da sie in dieser Form sehr selten auftritt.

Was tun bei dissoziativen Störungen?

Eine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit einer Behandlung im Rahmen einer dissoziativen Störung ist das Erkennen als solche. Die betroffene Person nimmt die Störung oft nicht als solche wahr.

Treten jedoch typische Symptome auf, sollten diese unbedingt abgeklärt werden. Zunächst muss ausgeschlossen werden, dass es sich nicht um körperliche Ursachen handelt.

Auch weitere psychische Erkrankungen wie etwa eine Depression oder ein psychotischer Zustand müssen ausgeschlossen werden.

Sobald körperliche Ursachen als Möglichkeiten ausgegrenzt wurden, ist eine psychotherapeutische Behandlung die beste Möglichkeit bei einer dissoziativen Störung. Verschiedene Behandlungsmethoden können die Probleme erörtern, welche für die Störung zuständig sind. Eine Trauma Therapie ist eine Option, aber auch Gespräche, bei denen die Patienten über ihre Angst und das schlimme Ereignis sprechen können, sind hilfreich. Ziel ist es, das Leben der betroffenen Person in eine positive Richtung zu lenken und die Erinnerung und Vorstellung an das auslösende Erlebnis zu verarbeiten.

Fotos: https://pixabay.com/de/ & Henrike Ortwein

Diese Artikel könnten dich auch interessieren:

Was ist Trauma Bonding?

Trauma Bonding – was steckt hinter dem Begriff?

Trauma Bonding beschreibt die paradoxe emotionale Bindung, die durch wiederholten Missbrauch entsteht [...]

mehr erfahren
Wie äußern sich Trauma bei Kindern?

Wie sich Trauma bei Kindern äußern

Wie sich Trauma bei Kindern äußern kann, ist nicht immer offensichtlich. Verhaltensauffälligkeiten, [...]

mehr erfahren
Was bringt es Tagebuch zu führen?

Tagebuch schreiben – so sorgt schreiben für mehr Achtsamkeit

So sorgt schreiben für mehr Achtsamkeit: Durch das regelmäßige Festhalten von Gedanken [...]

mehr erfahren
Worum handelt es sich beim Journeling

Was ist Journaling?

Dein Wegweiser zur Achtsamkeit und SelbstreflexionWas ist Journeling? Es ist eine einfache, [...]

mehr erfahren
Was steckt hinter dem Tagebuch schreiben?

Tagebuch schreiben: Psychologie hinter dem Trend

Tagebuch schreiben: Eine TiefenanalyseWarum greifen Menschen in unserer durchdigitalisierten Welt immer häufiger [...]

mehr erfahren
Was muss ich nach einer toxischen Beziehung wissen?

Trauma nach toxischer Beziehung – was du wissen musst

Trauma ist real und belastend. Menschen, die emotionalen Missbrauch erlebt haben, fragen [...]

mehr erfahren

Kindheitstrauma

BIST DU BETROFFEN?

Seelische Wunden aus der Kindheit können Spuren hinterlassen ...
... und bis ins hohe Alter nachwirken.

Könnten Traumata aus deiner Kindheit der Grund für deine Probleme sein?
Der Grund dafür, dass das wahre Glück nie richtig zu kommen scheint?

Mache jetzt den Test:

Success message!
Warning message!
Error message!